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 Betreff des Beitrags: straßen werden bunt..
BeitragVerfasst: 11.10.2007, 19:28 
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Registriert: 01.10.2007, 20:24
Beiträge: 82
"KEINE PFLANZE IST ILLEGAL"

Mit diesem Schlachtruf bepflanzen ­ nicht nur in Berlin ­ die Aktivisten des "Guerilla-Gardenings" verwahrloste innerstädtische Brachflächen und sogar Grünstreifen zwischen Autostraßen. Die Bewegung ist angetreten, um der Natur ein neues Recht und sich etwas mehr Natur zu sichern.

Die spinnen, die Briten! Das mussten deutsche Touristen ­ vor allem, wenn sie aus Berlin stammten ­ wohl gedacht haben, als sie am 1. Mai 2000 mitten in London Zeugen einer merkwürdigen Aktion wurden. Auf einer kleinen Rasenfläche, direkt am verkehrsumtosten Parliament Square, hatten sich im Rahmen des dort so genannten "Maydays" ein Haufen Globalisierungsgegner, Anarchisten und Umweltaktivisten zusammengefunden, um, wie sie auf Transparenten bekundeten, "die Straßen zurückzuerobern". Doch während gleichentags aus ähnlichen Gründen in Berlin-Kreuzberg Autos angezündet und Schaufensterscheiben eingeworfen wurden, packten die britischen Demonstranten vor den Augen von Schaulustigen und der herbeigeeilten Polizei Spaten, Harken und Setzlinge aus und begannen, das Rasenstück erst aufzureißen, um es dann neu mit Blumen, vor allem aber mit Gemüse zu bepflanzen.

"Guerilla Gardening", so der englischsprachige Begriff für das "suberversive grüne Tun", ist eine neue Protestform, die sich, ausgehend von Amerika und Großbritannien, besonders mit Beginn des 21. Jahrhunderts in den Großstädten breit zu machen beginnt. Während die Hippie-Generation der 60er und 70er Jahre noch von abgelegenen, autarken Landkommunen träumte, wo das Brot aus selbst angebautem Getreide gebacken und Pullover mit der Wolle hauseigener Schafe gestrickt werden sollten, sehen Guerilla- Gärtner ihren ureigenen Lebensraum in den Hochhausschluchten oder Industriegebieten der Metropolen. Auf Grünstreifen zwischen mehrspurigen Straßen pflanzen sie Kohlköpfe und Möhren an. Auf Abrissgrundstücken lassen sie in alten Autoreifen Kartoffeln oder Tomaten gedeihen.

Es ist nicht schwer zu erraten, dass die meisten "Guerilla-Gärtner" mit der Attac-Bewegung sympathisieren ­ falls sie nicht ohnehin mit ihr vernetzt sind. Schließlich geht es den streitbaren Selfmade-Bauern um eine selbst bestimmte Gestaltung der Städte, um dezentralen, nichtindustrialisierten Nahrungsmittelanbau, eine lebenswerte, ökologisch orientierte Umwelt, die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs und natürlich um Anti-Kapitalismus. Anliegen, die auch in der alternativen Szene Berlins seit vielen Jahren eine treue Anhängerschaft haben. Klar, dass die deutsche Hauptstadt deshalb ebenfalls auf eine eigene Tradition in Sachen "Guerilla-Gardening" blickt. Auch wenn das hier erst seit kurzem so heißt und die gärtnerischen Aktivitäten im Vergleich zu England oder den USA in der Regel weniger demonstrativ daherkommen.

Es war vor allem die Zeit der Hausbesetzungen in West-Berlin Anfang der 80er Jahre, als Studenten, Wehrpflicht-Flüchtlinge und linke Gruppierungen sich nicht nur ungefragt des damals äußerst knappen Wohnraums bemächtigten. Sie begannen auch, ganz nebenbei, Hinterhöfe oder brachliegende Nachbargrundstücke der bis dahin leer stehenden und nun besetzten Altbauten zu begrünen. Etwa gleichzeitig hatten sich Elterninitiativen aufgemacht, Kinderbauernhöfe zu gründen, indem sie auf ungenutzten, innerstädtischen Gestrüppflächen zur Freude, aber auch ökologischen Belehrung ihres Nachwuchses kurzerhand Pflanzenbeete anlegten und dort auch Nutztiere wie Hühner und Ziegen hielten. Der Kinderbauernhof Görlitzer e.V. etwa, einer der ältesten seiner Art in Berlin, entstand 1978, noch bevor das damals verwaiste, weitläufige Gelände zur öffentlichen Grünanlage ­ dem Görlitzer Park ­ umgeformt wurde.

Doch auch die zunehmende Zahl junger Berliner, die sich dem lange Jahre dominierenden Planungskonzept von der "autogerechten Stadt" zu widersetzen begannen, müssen als eine Art Vorfahren des Guerilla-Gardenings oder, wie es in hier zu Lande meistens milder heißt, "Urban Gardenings", gelten. Als Ende der 70er Jahre etwa die Erweiterung des West-Berliner Autobahnnetzes über das riesige, brach liegende Gleisdreieck ins Haus stand, tat sich die Bürgerinitiative Westtangente zusammen, um für das Existenzrecht einer Natur zu kämpfen, die sich hier ungebeten und unorganisiert mitten in der Stadt ihren Platz zurückerobert hatte.

Mit Beginn der 90er Jahre jedoch schien es, als müsse man alle Träume von innerstädtischen Biotopen begraben. Die Nachwende-Euphorie um die neue Hauptstadt löste einen ungeahnten Bauboom aus, der die Illusion erweckte, jedes unbebaute innerstädtische Grundstück sei in Wirklichkeit eine Goldgrube. Neue Bürohäuser schossen wie Pilze aus dem Boden, Sony und Mercedes Benz machten sich auf dem verwahrlosten Potsdamer Platz breit. Und das Stadion der Weltjugend an der Chausseestraße in Mitte wurde abgerissen, um später für Olympia 2000 einer neuen, großartigeren Sportstätte Platz zu machen. Resigniert zogen sich viele gärtnerisch ambitionierte Großstädter auf eigene Grundstücke ins Umland zurück. Oder setzten ihre Namen auf die Wartelisten von Laubenpieper-Kolonien, also Orten, die bis dahin für Szene-People eigentlich Tabuzonen waren.

Erst als die Blase von der rasant wachsenden Mega-Business-City Mitte der 90er Jahre zu platzen begann, neue Bauvorhaben in finanziellen Desastern endeten und andere mangels Investoren auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben wurden, sahen die subversiven Gärtner Berlins wieder Oberwasser. Inspiriert vom Hanfboom Anfang der 90er Jahre, der mit seinen gerne in öffentlichen Grünanlagen oder auf anderen bewachsenen Flächen versteckt liegenden Pflanzungen gezeigt hatte, dass eine an sich harmlose Tätigkeit wie das Gärtnern durchaus umstürzlerische Qualitäten entwickeln kann, nahmen Aktivisten ungenutzte Freiflächen mit Spaten, Hacke und Kompostgabel abermals in Besitz.

Im Friedrichshainer Samariterviertel, seit 1992 ein Sanierungsgebiet, war es, kaum zufällig, ein anwohnender Bildender Künstler, der auf einem Brachgrundstück erst ungefragt eine Skulptur aufstellte und dann drumherum Beete anlegte sowie Stauden pflanzte. Ein Statement, das von seiner Umgebung sofort verstanden wurde. Denn schon bald gesellten sich Nachbarn hinzu, die ebenfalls ihre Umgebung grüner und schöner machen wollten ­ und die, etwa aufgrund von Arbeitslosigkeit, auch über genügend Zeit zum unbezahlten, halböffentlichen Gärtnern verfügten.

"Wir hatten diese Aktivitäten eine ganze Weile beobachtet", erinnert sich May Buschke von Stattbau, der vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beauftragten Gesellschaft für die Sanierung des Samariterviertels. Und weil die Begrünung der Freiflächen dem jungen Szene-Kiez allemal besser tat, als die wilden Müllkippen, die sich dort aufgehäuft hatten, begann Stattbau mit den privaten Grundstückseigentümern nicht nur Zwischennutzungsverträge zu schließen. Man sorgte auch dafür, dass der Bezirk für die eigentlich ungeladenen Gärtner bescheidene Gelder zum Ankauf von Pflanzen und Gartengeräten locker machte. Ausgaben, die das Haushaltsloch des zutiefst klammen Kiezes zunächst einmal weiter vertiefen mögen, die auf lange Sicht jedoch eine steigende Attraktivität der Gegend garantieren. Denn während wilde Müllkippen in der Regel dafür sorgen, dass im Kiez weiterer Unrat zurückgelassen wird und Bewohner, die es sich leisten können, dem Viertel schließlich entnervt den Rücken kehren, stärkt das nachbarschaftliche Gärtnern den zwischenmenschlichen Kontakt und die Eigenverantwortung der Anwohner.

Das hat inzwischen sogar das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen erkannt und Ende letzten Jahres den Forschungsbericht "Zwischennutzung und neue Freiflächen. Städtische Lebensräume der Zukunft" vorgelegt.

Anerkennend äußert man sich im Kapitel "brach und danach ­ gärtnerische Zwischennutzung von Brachen" nicht nur über die im Samariterviertel neu entstandenen Grünanlagen. Echte Begeisterung klingt auch bei der Beschreibung des "Temporären Sportparks im ehemaligen Stadion der Weltjugend" mit seiner ursprünglich von illegalen, so genannten VolX-Golfern initiierten Abschlaganlage durch. Dass der inzwischen zusätzlich mit Beachvolleyballplätzen, Federball- und Fußballfeldern so wie einem BMX-Parcours ausgestattete Platz demnächst für die geplanten neuen Gebäude des Bundesnachrichtendienstes platt gemacht wird, bleibt in dem Bericht indes unerwähnt.

Ein Schicksal, das den vor allem seit Ende der 90er Jahre zunehmend von Anwohnern begrünten, so genannten Baumscheiben eher nicht droht. Die natürliche Feinde der etwa ein bis drei Quadratmeter großen, unversiegelten Flächen um die Bäume entlang der Berliner Straßen sind stattdessen vielmehr Hundebesitzer und parkende Autos. Während erstere ihre vierbeinigen Lieblinge gezielt zur Blasen- und Darmentleerung auf das eingefasste kleine Erdreich führen, schrammen Fahrzeuglenker in ihrer Parkplatznot haarscharf an die schützende Rinde der innerstädtischen Sauerstoffspender. Untugenden, die vor allem die Besitzer anliegender Läden dazu animiert haben, "ihre" Baumscheibe mittels kleiner Jägerzäune und zusätzlich angebauten Grünzeugs vor den Störfrieden zu schützen. "Wir haben stark riechende Pflanzen ausgewählt, deren Duft Hunden unangenehm ist", verrät etwa Janka Christodulow, Mitinhaberin von Prunk & Graupen, einer "Werkstatt für Kunst und Meublement" auf der Samariterstraße 34, die im vergangenen Jahr den vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) erstmals ausgelobten Preis "Die schönste Baumscheibe Berlins" gewonnen hat.

Andernorts hingegen ist man gewillt, die Anwesenheit von Hunden im selbst geschaffenen Grün auch künftig weiterhin zu dulden. Die Parkgenossenschaft Gleisdreieck, ein Ableger der Initiative Westtangente, ist nicht nur zuversichtlich, dass es mit dem Umbau der verbliebenen Flächen des Gleisdreiecks zum öffentlichen Park demnächst losgehen kann. Sie will mit der von Anwohnern sowie anderen Interessierten geplanten und später selbst anzulegenden öffentlichen Grünfläche auch möglichst viele Bedürfnisse befriedigen. Norbert Rheinlaender vom Genossenschaftsvorstand: "Auf asphaltierten Flächen können Sportplätze entstehen, das Ökowerk will historische Getreidesorten pflanzen, und Hundebesitzer möchten hier eben ihr spezielles Naturverständnis verwirklichen."
Eva Apraku

TIP 09/05

http://www.guerrillagardening.org/

http://www.primalseeds.org/guerrilla.htm

http://kreativerstrassenprotest.twoday. ... Gardening/


:D


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Verfasst: 11.10.2007, 19:28 


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